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HOFFNUNG UND AUFTRAG

Symposium in Berlin 2015, 
Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung

Hoffnung und Auftrag. Die Reden von Benedikt XVI. zur Politik 

 

 

 

 

 

Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers. In einer historischen Stunde, in der dem Menschen Macht zugefallen ist, die bisher nicht vorstellbar war, wird diese Aufgabe besonders dringlich. [...] Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewußtsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnis-quellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt. Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede ist.

Papst Benedikt XVI. – Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22.09.2011

Programm

Mittwoch – 25. November 2015

Ort: Reichstagsgebäude, am späten Nachmittag

 

 

Erzbischof Dr. Georg Gänswein/ Rom

Hoffnung und Verantwortung. Die großen gesellschaftspolitischen Grundthemen von Papst Benedikt XVI.

 

In den beiden Begriffen „Hoffnung“ und „Verantwortung“ konzentrieren sich zwei Grundpfeiler im Werk des Theologen Joseph Ratzinger und in der Verkündigung von Papst Benedikt XVI. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes theologisches Denken hindurch. Der Nachfolger Petri scheute sich nicht, zu den großen gesellschaftlichen Themen importune opportune Stellung zu beziehen. Tief verankert in der biblischen Botschaft und im depositum fidei der Kirche antwortet er auf die Herausforderungen des modernen Menschen und die großen Fragen der Gegenwart: die Bedrohung des Friedens, Solidarität und Gerechtigkeit, die besondere Stellung der Religion als Hüterin und Vermittlerin einer Wertordnung, die sich sowohl transzendental begründet als auch der Vernunft verpflichtet weiß.

 

Matthias Matussek

„Die sprungbereite Feindseligkeit“. Papst Benedikt und die deutsche Presse

 

 

Gespräch mit Erzbischof Gänswein

 

 

Donnerstag – 26. November 2015

Ort: Asanta-Haus, 09.15 (09.30) Uhr

 

Vormittags

Einheit 1

Prof. Dr. Berthold Wald/ Paderborn

Christentum, säkulare Vernunft und Interkulturalität. Was die Welt zusammenbringt

Ein immer wiederkehrendes Thema in den großen Reden von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. ist die Frage, wie angesichts der innerkulturellen und interkulturellen Differenzen die gemeinschaftsbildende Kraft von säkularer Vernunft und christlichem Glauben für eine dringend notwendige „polyphone Korrelation“ der Kulturen (Dialog mit Jürgen Habermas) zurückgewonnen und fruchtbar gemacht werden kann. Eine wichtige Vorbedingung für den interkulturellen und interreligiösen Dialog ist die Öffnung und Weitung der Vernunft innerhalb unserer eigenen säkularen Kultur. Dies geschieht in dem Maße, wie sich Philosophie und Theologie für die Grundfragen des Menschen und damit füreinander öffnen. Allerdings hat nur eine lebendige „Korrelationalität von Vernunft und Glaube“ zur gegenseitigen Reinigung und Heilung, die zum gemeinsamen Erbe von Christentum und westlicher Vernunft gehört, das Potential, auch andere Kulturen und Religionen in diesen Prozeß der Öffnung und Weitung mit hinein zu nehmen. „Hörbereitschaft gegenüber den großen religiösen Überlieferungen“, also Mut zur Weite der Vernunft, ist die unerläßliche Vorbedingung für einen „wirklichen Dialog der Kulturen und Religionen“ (Regensburger Rede).

 

Dr. Rocio Daga/ München-Eichstätt

Geschichte und Rechtsverständnis im Islam: Denk-Kategorien im klassischen Islam und der Umbruch der Moderne

Nach der Differenzierung der Begriffe "Islam" – Reich im Mittelalter – und "islam" – die religiöse Erfahrung der Menschen –, werden wir die Denk-Kategorien des klassischen Islam analysieren und darstellen. Zentral in der islamischen Kultur ist das Rechtsverständnis, welches eine bestimmte Methodologie beinhaltet. Diese prägt das Denken der Menschen im alltäglichen Leben. Außerdem bestimmen Offenbarung- und Rechtsverständnis die Vorstellung der Geschichte mit ihren Folgen und ihrem Endziel. Die Frage von Glaube und Vernunft wird hier mit der Frage von Identität und Tradition im Islam zusammengestellt. Unter der Perspektive des Ursprungs und der Entwicklung des klassischen Denk-Systems im Islam werden wir die Rolle Muhammad im Islam nach Sunnitischem Verständnis sowie die Konzepte Jihad und Status der Nicht-Muslime behandeln. Die Folgen des Umbruchs der Moderne und ihre Problematik in Bezug des genannten Denk-Systems werden dargestellt.

 

 

Einheit 2

Prof. Dr. Martin Rhonheimer/Rom-Wien

Recht und Politik: Benedikts Auseinandersetzung mit Demokratie und Rechtspositivismus

 

In seiner Bundestagsrede vertritt Benedikt XVI. die Auffassung, demokratische Entscheidungsfindung könne nicht endgültig und letztlich darüber entscheiden, was Recht und Unrecht ist. Auch Politiker müssen sich unabhängig davon immer die Frage stellen: „Wie erkennen wir, was recht ist?“ Kriterium für Recht und Unrecht ist das Naturrecht. Damit will Benedikt aber nicht die ältere kirchliche Auffassung erneuern, welche die Legitimität demokratischer Mehrheitsentscheidungen unter den Vorbehalt ihrer Übereinstimmung mit dem – von der Kirche interpretierten – Naturrecht stellt und damit die politische Autonomie demokratischer Prozesse relativiert. Seine Auffassung ist am besten als rechtsethische Position zu verstehen, der gemäß Naturrecht zwar nicht geltendes Recht, wohl aber rechtsethischer Maßstab für Recht und Unrecht ist. Dadurch wird die prozedurale Autonomie demokratischer Prozesse nicht in Frage gestellt; wohl aber kann auf diese Weise geltendes, durch eine Mehrheit zustande gekommenes Recht im Namen der Rechtsethik als materiales Unrecht kritisiert und – im Namen des Rechts – seine Änderung eingefordert werden. In seiner Auseinandersetzung mit der von ihm diagnostizierten „Diktatur des Relativismus“ sowie dem Rechtspositivismus Hans Kelsens appelliert Benedikt an die „Sprache der Natur“. Dies drängt zur Gegenfrage: Welches sind die Kriterien für das richtige Hören auf diese Sprache? Und was macht die „Sprache der Natur“ moralisch verbindlich? Ist es, wie Benedikt in Übereinstimmung mit Kelsen festhält, die Existenz eines göttlichen Schöpfers der Natur, die von Kelsen aber gerade bestritten wird? In diesem Punkt scheint Benedikts Argumentation zwar schöpfungsmetaphysisch richtig, aber rechtsethisch ungenügend zu sein. Im Rückgriff auf die christliche Tradition des Naturrechts ist deshalb eine ergänzende Perspektive aufzuzeigen.

 

Prof. Dr. Nadja El Beheiri, Budapest

Die Rechtstraditionen Europas und das Naturrecht

Aus meiner Sicht kann die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag als eine Art Zusammenfassung seiner gesellschaftspolitischen Lehren verstanden werden. In der Formulierung „Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates” zu Beginn der Rede klingt der Versuch einer Versöhnung der beiden großen Traditionen Europas durch. Einerseits handelt es sich dabei um die klassische der vorchristlichen Antike und des christlichen Altertums eigene Tradition, andererseits um jene der Aufklärung, die im Ergebnis zur Herausbildung des modernen Rechtsstaates geführt hat. An zweiter Stelle geht es um die Festlegung eines Naturrechtsbegriffes, der er auch für den Dialog mit Nichtgläubigen geeignet ist. Entscheidend im Zusammenhang mit der Diskussion um das Naturrecht ist das Verhältnis zwischen Natur und Vernunft. Im Hinblick auf eine Begriffsbestimmung nimmt der Papst auf den Ursprung der europäischen Rechtskultur in der Begegnung von stoischer Philosophie und römischen Recht Bezug. Mir scheint, dass gerade die Tatsache für Benedikt XVI. wichtig war, dass es sich dabei um eine vorchristliche Entwicklung gehandelt hat, der sich die frühen christlichen Denker angeschlossen haben. Dabei verweist der Papst auf die Arbeiten des Salzburger Rechtshistorikers Wolfgang Waldstein. Waldstein seinerseits hat seine Erkenntnisse in Zusammenarbeit mit den bedeutendsten Forschern des römischen Rechts des deutschen Sprachraumes gewonnen. Entscheidend ist dabei, dass die Arbeit der römischen Juristen nicht so sehr durch systematisch philosophische Überlegungen, sondern vielmehr durch in der Praxis geforderte Falllösungen geprägt war. Die Erfassung des Naturrechtskonzepts erfolgt dabei nicht ausschließlich über den Begriff ius naturale (bei Ulpian im Sinne eines allen Lebewesen eigenen Naturrechts), sondern auch über andere Ausdrücke wie aequitas, fides, iustitia usw. Aus Arbeiten Waldsteins übernimmt der em. Papst auch die Auseinandersetzung mit Hans Kelsen. Diese Diskussion hat m. E. zwei Stoßrichtungen. Einmal geht es um die Zurückweisung eines rein positivistischen Naturverständnisses. Andererseits steht Kelsen aber auch für die Negierung einer objektiven Wahrheit und die konsequente Ablehnung der Existenz eines Schöpfergottes. Gerade im Hinblick auf diese beiden Positionen ruft der Papst zu einem Dialog auf. 

Am frühen Nachmittag

Einheit 3

Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Heiligenkreuz

Mit Natur und Vernunft: Grundlegende Anfragen an die Gendertheorie

In der Berliner Rede von 2011 verwies Papst Benedikt XVI., wie so oft, auf Natur und Vernunft als die beiden Quellen eines Rechts, das über einer positivistisch gesatzten Ordnung stehe. Ein so verstandenes Recht hat demnach grundlegende anthropologische Fragen freizulegen und Wege für eine breite Zustimmung zu eröffnen. Eine der drängendsten anthropologischen Fragen wird seit etwa 25 Jahren durch die Gendertheorie gestellt: Ist es sinnvoll, zwischen Mann und Frau zu unterscheiden? Sind wir am Ende einer geschichtlichen Entfaltung an dem Punkt angelangt, wo diese Unterscheidung abzulösen ist und nur das gemeinsam Menschliche betont werden soll? Gibt es nur noch neutrale Personen? Können so nicht endlich bekannte, über das Geschlecht tradierte Unter- und Überordnungen verschwinden? Sind auch bisher randständige Formen geschlechtlicher Praxis zugunsten sexueller Vielfalt gesellschaftlich und juristisch zuzulassen? Können sich Mann und Frau durch „fließende Identität“ nach eigener Wahl in „Freiheit“ setzen? Unsere Kultur setzt bislang auf Aufklärung durch Vernunft. Aber genügt Vernunft (zusammen mit Natur) in einer derart leidenschaftlich geführten Auseinandersetzung? Hat das Christentum eine Lösung jenseits anderer Lösungen? Die Denk-Wege Benedikts XVI. scheinen nach wie vor hilfreich, um im Ansturm solcher Fragen Erprobtes und Neues sinnvoll zu vereinen.

 

Prof. Dr. Harald Seubert, Basel

Ökologie des Menschseins. Der geworfene Entwurf

Mein Beitrag lotet die von Benedikt XVI. skizzierte „Ökologie des Menschen“ aus. Es geht dabei um die Frage nach dem Menschen als Weltwesen und dem Weltbegriff des Menschseins, das ich – mit Heidegger - auf den Begriff des „geworfenen Entwurfes“ zu bringen suche. Dabei wird im Anschluss an den Vortrag von Gerl-Falkovitz zu fragen sein, ob die gängigen Konstruktivismen sich dieser Dimension gewachsen zeigen und wie sich christliches Kerygma und Vernunft sowie das Naturrecht vor diesem Fokus zueinander verhalten. Der Begriff einer „Ökologie des Menschen“ kann geeignet sein, das gängige ‚Eritis sicut Deus‘ in die Schranken zu weisen. Er erlaubt auch, den Menschen in einer Ontologie zu fassen, die einerseits ganz philosophisch ist, andrerseits aber christlich die Vernunftbegriffe nochmals übersteigt. Der Vortrag wird in wahrheits-ökumenischer und philosophischer Sichtweise ein ungehobenes Potential im Denken von Benedikt XVI. zu akzentuieren suchen.

 

16.00 Uhr

Eucharistiefeier zum Abschluss mit Erzbischof Dr. Georg Gänswein

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurzbericht

Rahmen der Tagung: "Hoffnung und Auftrag. Die Reden von Benedikt XVI. zur Politik", die von der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung in Berlin veranstaltet wurde, hielt der Präfekt des päpstlichen Hauses, Erzbischof Dr. Gänswein den Hauptvortrag. Nach der Eröffnung durch den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Johannes Singhammer, und einer bekenntnisstarken Begrüßung durch den Vorsitzenden der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Volker Kauder, widmete sich der Gast dem Vortragsthema: "Hoffnung und Verantwortung. Die großen gesellschaftspolitischen Grundthemen von Papst Benedikt XVI."

Im großen Empfangssaal im Reichstag sprach der persönliche Sekretär des emeritierten Papstes zu einigen wichtigen Themen der Enzyklika "Caritas in vertitate". Dabei gelang es ihm auf wissenschaftlichen hohen Niveau die zahlreich versammelten Abgeordneten und eine Fülle von Gästen in das politische Denken von Joseph Ratzinger einzuführen.

Fotos: Michael Hofmann

Der Tagungsband:

 

Stephan Otto Horn, Wolfram Schmidt (Hrsg.) Mit einem Geleitwort von Johannes Singhammer

Hoffnung und Auftrag

Die Reden Benedikts XVI. zur Politik
Erscheinungsjahr 2017
ISBN: 978-3-451-37811-9
Verlag Herder

Die Bedeutung der politischen Reden Papst Benedikts XVI.
Papst Benedikt XVI. hat sich nicht nur in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zu politisch und gesellschaftlich bedeutenden Themen geäußert. Die Beiträge verdeutlichen und diskutieren seine Positionen zu den Themen
– Christentum und Interkulturalität,
– Gespräch mit dem Islam,
– Wert der Demokratie,
– Haltung zu Rechtspositivismus und Naturrecht,
– Gendertheorie.
Der Band zeigt, wie das Werk des Papstes em. präsent gehalten und in seinem Sinn als Auftrag zur Gestaltung der Welt verstanden werden kann.
Mit Beiträgen von Rocio Daga-Portillo, Nadja El Beheiri, Georg Gänswein, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Martin Rhonheimer, Harald Seubert, Berthold Wald

 

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