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BIBELHERMENEUTIK UND KIRCHLICHKEIT

Tagung des Neuen Schülerkreises in Heiligenkreuz 2018

Bibelhermeneutik und Kirchlichkeit

 

Rund ein dreiviertel Jahr nach der auf Wunsch von Papst em. Benedikt XVI. in Rom erfolgten Umwandlung in einen eingetragenen Verein traf sich der Neue Schülerkreis Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. e.V. vom 22. bis  24. Juni 2018 im österreichischen Zisterzienserstift Heiligenkreuz bei Wien zu seinem alljährlichen "nationalen Treffen". Gastgeber in Stift Heiligenkreuz war Abt Dr. Maximilian Heim OCist, der selbst Mitglied des Neuen Schülerkreises ist und zur Teilnahme an den Gebetszeiten der Mönche einlud, die von den Mitgliedern des Neuen Schülerkreises gerne wahrgenommen wurde.

Der Einladung des Vorstandes um Prof. Dr. Christoph Ohly (1. Vorsitzender), P. Dr. Sven Conrad FSSP (2. Vorsitzender) sowie Dr. Rainer Hangler (Kassenwart) folgten rund 20 Mitglieder des Neuen Schülerkreises. Als Gäste konnten außerdem der langjährige Sprecher des Schülerkreises Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., Prof. em. P. Dr. Stephan Horn SVD, sowie Dr. Josef Zöhrer, Vorsitzender der Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.-Stiftung, begrüßt werden.

 

Neutestamentler Prof. Dr. Marius Reiser: "Wir haben in der Bibelhermeneutik das Ziel aus den Augen verloren."

Im Zentrum des Treffens in Stift Heiligenkreuz standen neben der Frage nach der Fortentwicklung des Neuen Schülerkreises e.V. vor allem der persönliche und akademische Austausch rund um das Werk und Denken von Joseph Ratzinger/Papst em. Benedikt XVI.

Im Lichte der gegenwärtigen Auseinandersetzung innerhalb des Neuen Schülerkreises mit Papst Benedikts Buchtrilogie "Jesus von Nazareth" (2007-2012) lag der besondere Schwerpunkt in diesem Jahr auf der Frage nach der richtigen Bibelhermeneutik und Textexegese innerhalb der akademischen Theologie. Als Referent hierzu konnte der langjährige Professor für Neues Testament im Fachbereich Katholische Theologie an der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz, Marius Reiser, gewonnen werden.

Der Theologe, Philologe und Bibelwissenschaftler verdeutlichte in seinem Vortrag den maßgeblichen Wandel, den Bibelhermeneutik und Textexegese seit der Aufklärung erfahren hätten: Während von der Väterzeit bis hin zur Epoche des Humanismus die Heilige Schrift als ein inspiriertes Buch galt, in dem der Heilige Geist alle (scheinbar gegensätzlichen)Teile zu einer Einheit verbunden habe und von Origenes bis hin zu Thomas von Aquin neben dem Literalsinn auch die allegorische Interpretation der Schrift seine Berechtigung hatte, werde stattdessen seit der Aufklärung die Bibel "als ein Buch wie jedes andere" (Reiser) betrachtet und somit inhaltlich eher das Gegensätzliche als das Einheitliche betont und allegorische Interpretationen als unwissenschaftlich betrachtet. Die Folge sei, so Reiser, dass die Bibelexegese sich von einer kirchlich beziehungsweise an der regula fidei orientierten Exegese zu einer literarisch-historischen Exegese entwickelt habe und dieses zur "Gefahr der antiquarischen Klassikerexegese" (Reiser) führe.

Gerade im 20. und 21. Jahrhundert habe sich eine wahre "Explosion neuer Theorien und Methoden" (Reiser) im Bereich der Bibelexegese ereignet, deren einziger gemeinsamer Nenner jedoch darin bestehe, dass diese sich einer rein theologischen Interpretation der Heiligen Schrift widersetzten. Denn diese gelte allgemein als "vorkritisch" – eine Überheblichkeit gegenüber der Väter-Hermeneutik, die, wie Prof. Reiser bedauernd feststellte, sogar in dem Schreiben der Päpstlichen Bibelkommission "Die Interpretation der Bibel in der Kirche" von 1993 anzufinden sei. Marius Reiser warf seinerseits jenen Forschern, die die voraufklärerische Bibelexegese als "vorkritisch" betrachten, Hybris und Arroganz vor und gab außerdem zu bedenken, dass die Entkopplung der Bibel von ihrem kirchlichen und geistlichen Ursprung nachweislich zu einer vollkommenen Entfremdung der Exegeten von Kirche und Tradition führen müsse, da nach den Methoden der historischen Forschung sowohl Gott als auch wesentliche Inhalte des Neuen Testaments, wie beispielsweise die Wunderhandlungen Christi, als unhistorisch beziehungsweise unhaltbar zurückgewiesen werden müssten. Somit sei die seit der Aufklärung betriebene Bibelexegese von Grund auf tendenziell a-theologisch und a-theistisch.

Marius Reiser plädierte vor dem Neuen Schülerkreis für ein Aufeinanderzugehen von "alter" und "neuer" Bibelhermeneutik. Es gelte einen unverstellten Blick auf die jeweiligen Errungenschaften der beiden Bibelhermeneutiken zu werfen - aber in der gegenwärtigen Zeit vor allem die als "vorkritisch“ geltende ursprüngliche Bibelhermeneutik zu rehabilitieren und mehr Kirchlichkeit bei der Bibelexegese (und auch den Exegeten selbst) einzufordern. Als wichtige Beispiele einer gelingenden Versöhnung beider Hermeneutiken nannte Reiser die "Jesus von Nazareth"-Buchtrilogie von Benedikt XVI. sowie dessen Nachsynodales Apostolische Schreiben von 2010, "Verbum Domini".

Der Vortrag von Professor Reiser sowie zwei kürzere Vorträge der Mitglieder des Neuen Schülerkreises, PD Dr. Michaela Hastetter (ein Vergleich zwischen Georges Florovsky und Joseph Ratzinger) und Prof. Dr. Achim Buckenmaier ("Herkunft, Bedeutung und Wirtkung des Inkognito Gottes im Werk Joseph Ratzingers/Papst Benedikt XVI.") führten zu angeregten Diskussionen und wurden durch die gemeinsame Feier der Liturgie und ein gemütliches Beisammensein im Anschluss an die abgehaltenen Sitzungen ergänzt. Der Neue Schülerkreis bedankt sich herzlich bei Abt Maximilian Heim für ein gelungenes nationales Treffen im Stift Heiligenkreuz und blickt bereits erwartungsvoll auf das Anfang September in Castel Gandolfo stattfindende Treffen mit dem Schülerkreis.

 

Stephan Ahrens

Fotos: Rainer Hangler

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